Visionen? Naja…

Posted by on 08. Dezember 2013 in Gewesen | No Comments

„Jaa… die Jury druckt noch die Urkunden…“. Die Moderatorin, eine Frau mit dunklem Lockenkopf wippt auf den Zehenspitzen. Das Publikum tuschelt ausgelassen. Die Visionale ist DAS Filmfestival Frankfurts, steht so zumindest auf der Internetseite der Veranstalter.
Drei Tage wurden im Gallus Theater die Werke junger Filmemacher gezeigt. Heute werden die besten davon ausgezeichnet. Willkommen auf der Preisverleihung.
Schließlich kommt dann auch die Jury. Mit einem Begrüßungsapplaus nehmen die Juroren Platz.

Die sichtlich erleichterte Moderatorin strahlt.
„Dann fahren wir mal den Trailer ab!“, ruft sie fröhlich.
Gebrummel aus der Technikkabine.
Die Moderatorin stellt sich auf die Zehenspitzen.
„Wie? Kein Trailer?“, ruft sie zur Technikkabine.
„Der sollte laufen wenn die Jury reinkommt!“, kommt es von der Technik.
„Ähm…“, Stille.

Nach kurzem Hin und Her wird der Trailer doch gespielt. Der Abend beginnt mit Dankesreden. Dann folgen die ersten Preise: Kategorie 0-14.
Es geht um behinderte Kinder, verliebte Kinder, Ghetto-Kinder oder Gewalt gegen Kinder. Sind das wirklich Kinderthemen? Oder Themen, von denen Erwachsene meinen, es wären Kinderthemen? Kulturbeflissene Erwachsene, die in Jugendzentren und Ferienkursen pädagogisch wertvolle Themen zu Filmen machen.
Egal, die Kleinen freuen sich ein Loch in den Bauch. Aber kaum haben sie ihre Preise vorne auf der Bühne abgeholt, da verlassen sie, ihre Eltern im Schlepptau, den Saal.

„Sie wollen gehen?“, fragt die verwunderte Moderatorin. „Ja, das kann ich verstehen.“

Und das hätte mir ein Zeichen sein sollen. Denn es wird nicht besser.
Es folgt der Sonderpreis der Landeszentrale für politische Bildung: Kinder mit Migrationshintergrund und transsexuelle Kinder.
Dann die Kategorie Young Professionals: Phantasievolle, aber sexuell missbrauchte Kinder und Kinder, die Gewalt mit ansehen müssen.
Der erste Preis in der Kategorie Young Professionals geht an „Sieben Köpfe für den Henker“. Es geht nicht um Kinder, sondern um Jugendliche, aber Gewalt ist mit dabei. Ein klamaukiger Splatter, ganz in der Tradition von Scary Movie. Ein böser Ritter macht Jagd auf eine arglose Gruppe Jugendlicher, die eigentlich mit den Querelen ihrer Hormone vollkommen ausgelastet wäre.
Das Ganze mutet an wie ein Medley aus Auto-Effekten beim Grafikprogramm After Effects: 3D-Schrift im Metallic-Look, abgehackte Köpfe, Blitze, Feuer, Blutspritzer… FX for Beginners.
Witzig ist das Gemetzel, zugegeben – und da stört es auch nicht, dass mitten im Film plötzlich alle Darsteller eine ungesunde pinke Gesichtsfarbe haben. Hier wurde die Farbkorrektur, auch so ein After-Effects-Effekt, wohl ebenfalls auf Auto gestellt. Nicht tragisch, aber Young Professional sollte anderes aussehen, oder?

„So, ja, das wars!“ , sagt die Moderatorin.
Das Publikum, preisgekrönt oder nicht, springt auf. Draußen im Foyer stehen auf einem langen Tisch drei Töpfe Suppe: Das Buffet. Auf einem anderen Tisch sind ein paar Flaschen Wasser und Wein, daneben gut lesbar „Reserviert!“-Schilder aus DINA4-Karopapier. Hier nimmt die Jury Platz.
Ich habe keinen Hunger aber Durst und entscheide, dass es sich heute im Flemmings deutlich besser trinken lässt. Von der Bar im achten Stock des Hotels am Eschenheimer Tor hat man einen unvergleichlichen Blick auf die nächtliche Skyline.
Visionen? Naja… Frankfurt ist vieles: Stadt der Banken, Stadt der Wolkenkratzer oder Stadt neben einem ziemlich lauten Flughafen. Und Frankfurt will vieles sein: Stadt der Dichter, Museumsstadt, Universitätsstadt. Aber Film? Frankfurt ist keine Film-Stadt vom Kaliber Münchens oder Hamburgs, weniger kreativ als Berlin, weniger kommerziell als Köln. Frankfurt ist filmische Provinz und die Visionale ihr ambitioniertes Festival.

 

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